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Was ist Fotografie heute, wie hat sie sich verändert, welchen Sinn hat es heute noch zu fotografieren?
Die Camera Obscura
Eine Camera Obscura (lat. camera „Gewölbe“; obscura „dunkel“) besteht aus einem lichtdichten Raum mit einem kleinen Loch, weshalb man auch von einer Lochkamera spricht. Durch dieses Loch fällt das Licht auf die gegenüberliegende Seite. Dort entsteht ein seitenverkehrtes und auf dem Kopf stehendendes Abbild der Szenerie außerhalb der Camera. Der griechische Philosoph Aristoteles (*384 v. Chr. – † 322 v. Chr.) beschrieb das Prinzip schon vor über 2300 Jahren. Ab dem Ende des 13. Jahrhunderts wurde die Camera Obscura von Astronomen zur Beobachtung von Sonnenflecken und Sonnenfinsternissen eingesetzt, um nicht direkt ins Sonnenlicht zu blicken.
Nach dem Mittelalter kamen erste Linsen zum Einsatz, tragbare Versionen der Camera Obscura wurden dann von Malern für Vorzeichnungen eingesetzt, um die Perspektive exakt wiedergeben zu können. Die Linsen wurden in den folgenden Jahren immer besser, und als es im 19. Jahrhundert gelang, das Abbild in der Camera Obscura 'einzufangen' und zu fixieren, begann die Geschichte der Fotografie.
Im Zeitalter der Bilderflut
Die Bedeutung von Fotografie hat sich durch die Erfindung und Entwicklung der digitalen Fotografie in den letzten beiden Jahrzehnten radikal verändert. Wo Fotografen früher eine begrenzte Zahl von Bildern zur Verfügung hatten – z.B. auf einem Kleinbildfilm maximal 36 Bilder – scheint die Zahl der Bilder heute keine Rolle mehr zu spielen.
Dazu kommt, dass sich aus fast jedem Foto mit digitaler Bearbeitung ein scheinbar spannendes Bild machen lässt. Der Ausschnitt wird erst am Computer bestimmt und störende Elemente entfernt. Kontrast und Farbigkeit werden intensiviert und haben in meinen Augen oft kaum noch einen Bezug zum Gesehenen. Es entsteht eine neue Realität, eine andere Wirklichkeit – 'postfaktisch' sozusagen. Wenn wir dann einen Ort sehen, den wir von Fotos, wie man heute sagt zu kennen glauben, sind wir enttäuscht.
Die Beschäftigung mit der Camera Obscura ist für mich seit 1995 ein Weg, nach dem Sinn von Fotografie in Zeiten der Bilderflut zu fragen, indem ich technisch zu den Anfängen der Fotografie zurückgehe und mich bewusst beschränke. Es gibt kein Objektiv, nur ein kleines Loch und dahinter einen selbst gebauten schwarzen Kasten, in dem sich ein lichtempfindliches Papier oder ein Film befindet.
Seitdem sind drei größere Serien entstanden:
1.) Die Cubic habe ich 1998 gebaut. Aufgebaut sieht sie fast wie ein Würfel mit einer Kantenlänge von einem Meter aus. Belichtet wird direkt auf Schwarzweiß Barytpapier mit einer Höhe von 108 cm und einer Breite von zirka 80 cm. Die Belichtungszeit liegt zwischen sieben Minuten und sieben Stunden.
Die Bilder entwickle ich mit Schwamm und Pinsel, wobei ich malerisch in den Prozeß eingreife und die Entwicklung stoppe oder forciere. Das Ergebnis ist ein kontrastreiches Negativ (links ein Beispiel). Motive sind pflanzliche Strukturen die von leichtem Wind bewegt werden, so entsteht ein Spiel von Schärfe und Unschärfe. Bisher gibt es zehn Bilder, von denen vier hier zu sehen sind.
2.) Jenseits der Augenschwärze entstand 2001 und ist meine Diplomarbeit an der Fachhochschule Dortmund. Thema ist die sogenannte Restsehfähigkeit von Menschen die fast blind sind. Die 36 Fotos habe ich mit meiner Nikon F90X gemacht, auf der ein Loch im Schutzdeckel der Kamera das Objektiv ersetzt. Die Bilder habe ich mit Belichtungsautomatik auf Diafilm aufgenommen, um möglichst wenig Einfluss zu nehmen. Anschließend habe ich die Dias eingescannt und unbearbeitet ausgedruckt.
Die drei Bilderserien in dem Buch entstanden in Düsseldorf, London und auf der Insel Amrum (rechts ein Beispiel). Johanna Hansen bekam die ausgedruckten Bilder von mir, ohne zu Wissen was ich fotografiert hatte, sortierte sie zu kleineren Serien und schrieb Gedichte dazu. Diese Gedichte habe ich mit einem Braille-Drucker auf die Fotos gedruckt. Im Idealfall versucht ein Sehender einem Blinden zu beschreiben, was er sieht, und der Blinde liest dem Sehenden die Gedichte vor. (zehn Bilder)
Seit 2004 habe ich mit einer zur Obscura umfunktionierten digitalen Spiegelreflex experimentiert, auf der Suche nach einem neuen Thema, aber Obscura und digitale Fotografie passen für mich bisher nicht wirklich zusammen.
3.) 4×5 Inch Obscura (Bild der Camera links) – Im Herbst 2016 bin ich über meine Planfilmkassetten für die 4x5 Inch Fachkamera gestolpert, sofort war die Idee geboren. Großbildfotografie ist langsam und bewusst, und genau darum geht es mir. Schon wegen der reinen Kosten für Film und Entwicklung sucht man sehr bewusst nach einem lohnenden Motiv. Wenn das gefunden ist, wird das postkartengroße Negativ in einem Wechselsack in die Planfilmkassette eingelegt, anschließend das vorhandene Licht gemessen und die Belichtungszeit errechnet. Sie beträgt bei der Kamera in der Regel zwischen 45 Sekunden und drei Minuten. Wie bei den ersten beiden Serien ist die Brennweite auch bei der 4×5 Inch Obscura unveränderlich, sie beträgt 90 mm (das entspricht einem 24 mm Kleinbildobjektiv). Das heißt, statt zoomen zu können, suche ich ein passendes Motiv und verändere meinen Standpunkt so lange, bis ich mit dem Bild zufrieden bin. Da es keinen Sucher oder Monitor gibt, erfordert dies Übung und Konzentration. Nach ersten Experimenten entstand im Januar 2017 bei einer Reise nach Chicago die erste Bildserie mit vier Bildern. (Eins der vier Fotos sehen Sie oben auf dieser Seite.)
Düsseldorf Obscura – Ein Kalender 2019
Zwischen April 2017 und August 2018 entstanden die Aufnahmen für einen besonderen Kalender, der nur direkt über mich erworben werden konnte. Ende 2018 gab es eine Ausstellung mit den Motiven.